Der Trinker - V3 by Hans Fallada

Der Trinker - V3 by Hans Fallada

Autor:Hans Fallada [Fallada, Hans]
Die sprache: deu
Format: epub


* * *

14.9.44

Aber zu alledem kam ich vorläufig nicht mehr, andere, mir wichtiger erscheinende Ereignisse schoben sich dazwischen.

Als am Morgen nach dem Besuch des Rechtsanwaltes Doktor Husten der Wärter unsere Zellen aufschloß und ich mit dem gefüllten Kübel zum Spülbecken eilte, blieb ich plötzlich verblüfft stehen. Ich traute meinen Ohren nicht, und doch, es war keine Täuschung: aus einer eben geöffneten Zelle drang eine einschmeichelnde, leise flüsternde Stimme, jene Stimme, die so unzertrennlich mit meinen Alkoholräuschen verknüpft war, jene Stimme, die ich aus meines Herzens tiefstem Grunde haßte: Lobedanz' Stimme!

Ich wagte einen eiligen Blick. Ja, da stand er mit dem sanften, mehr gelblichen als bräunlichen Gesicht, mit dem dunklen Vollbart und dem schlicht zurückgestrichenen dunklen Haupthaar, das einen goldig-rötlichen Schimmer hatte, stand da und redete einschmeichelnd sanft auf seinen Zellengenossen ein, wobei er an den Fingern zog, daß sie knackten. Sicher wollte er dem anderen etwas abschnacken, er, der arme, aber ehrliche Arbeiter!

Ich eilte, so schnell ich nur konnte, an der Zelle vorbei, leerte und säuberte meine Kübel und schlich in meine Zelle zurück, achtsam, nicht gesehen zu werden. An diesem Morgen mußte Duftermann, so sehr er auch murrte, den Außendienst beim Zellenreinigen machen, Besen und Scheuertuch holen und frisches Waschwasser herbeischaffen: ich hatte nicht den Wunsch, von Lobedanz gesehen zu werden.

Innerlich aber erfüllten mich Schadenfreude und Triumph: sie hatten den listigen, heuchlerischen Lobedanz erwischt, sie hatten ihn gekitscht, und nur ein Gedanke beunruhigte mich noch: ob es denen auch gelungen war, Lobedanz die Beute oder doch einen wesentlichen Teil von ihr abzujagen. Doch auch darüber sollte ich nicht lange im Ungewissen bleiben. Wie immer ging es auf den Holzhof, ohne Lobedanz, entweder weil er sich nicht zur Arbeit gemeldet hatte oder weil beim Inspektor bekannt war, daß wir in derselben Sache saßen. In solchen Fällen wird sorgfältig vermieden, zwei Komplicen miteinander in Kontakt kommen zu lassen.

Mordhorst und ich, wir stellten uns an unseren Sägebock und begannen unser Tagewerk, diesmal der angenehmsten Art: glatte, schwache Kiefernrollen, ein Kinderspiel für trainierte Männer, wie wir es waren. Die erste Rolle war zersägt, und während ich die zweite auf dem Bock zurechtlegte, stellte ich meinem Arbeitskameraden die jeden Morgen wiederholte Frage: »Was Neues im Bau?«

»Mhm!« machte Mordhorst und setzte die Säge an. Dann: »Eine neue Einlieferung. Ein Gauner, wie es aussieht.«

Wir begannen zu sägen. Dann hielt ich wieder inne.

»Was hat er denn ausgefressen?«

»Wer? Was ausgefressen?« fragte Mordhorst, der mit seinen Gedanken längst woanders gewesen war, wahrscheinlich wieder bei seinem ewigen, bitteren Vorwurf an das Schicksal, warum er gerade in einem solchen Drecknest bei solcher unwürdig kleinen Mauserei hochgegangen war. »Wer? Was ausgefressen?«

»Der Neue doch!« erinnerte ich.

»Ach der? Was trauen sich denn solche Brüder schon.«

Und er wollte wieder zu sägen anfangen. Ich aber hielt den Sägebügel fest.

»Nee, sag mal, Mordhorst, das interessiert mich wirklich. Ich glaube, ich habe den Bruder heute früh gesehen.«

»Das kann angehen; auf deiner Station liegt er. Also was er ausgefressen hat? Leichenfledderei natürlich, zu was anderem hat solch ein Kerl doch keine Traute. Leichenfledderei an einem betrunkenen Speckjäger, so einem besoffenen Bürger, verstehst du?«

»Verstehe«, antwortete der betrunkene Speckjäger.



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